Um mich herum, überall Planen. Viele Häuser, die kurz nach oder vor der Wende schnell saniert wurden, werden nun von außen verschönert. In der Lücke gegenüber wurde in Windeseile ein Neubau hochgezogen, Sauna im Bad. Es blieb die Ausnahme. Eingekeilt zwischen zwei luxussanierten Blöcken ist der Teil der Straße, in der sich mein Haus befindet, bislang nicht so homogen wie oft vermutet. Innen und außen nicht.
Hier wohnen normale Leute, die meisten schon ewig. Schlichte Fassaden und alte Mietverträge allenthalben. Keine Cafés, eher Thai-Imbiss und -Massagestudio, Friseur, Mutter-Vater-Kind-Wohngruppe, Lohnsteuerhilfeverein. Einige wenige waren so schlau und haben ihre Häuser vor vielen Jahren gemeinsam als Genossenschaften gekauft. Sie alle sind hiergeblieben, trotz der Nerven belastenden Aufwertung Drumherum, trotz der SUVs und näher rückenden Neureichen. Warum? Weil ihre Mieten vergleichsweise moderat sind, die Altbauten nicht kaputt saniert, der Park, die Schule und der Alexanderplatz nicht weit, und weil sie wissen, dass man aus einer schönen Wohnung im Innenstadtbereich von Berlin niemals ausziehen darf.
Vertrauensbildend für die Menschen in unserem Haus war bislang, dass der Vermieter, die Gewobag, eine kommunale Wohnungsbaugesellschaft ist. Und so erschien uns der Aufbau eines Gerüsts, die Abdeckung der Fenster und selbst die Plane vor dem Balkon zur Sanierung der Fassade zwar als unbequem und unnötig, machte aber niemandem Angst. Besorgniserregender war da schon, was man aus der Nachbarschaft hörte: dass die Christmann Unternehmensgruppe (Vorsicht, öffnet man den Link ertönt sofort verdächtig beruhigende Klaviermusik von Satie…), die letzten nicht sanierten Häuser gekauft habe und eine offensive Entmietungsstrategie betreibe. Nach der energetischen Modernisierung und dem Verkauf der einzelnen bewohnten Wohnungen sollen sich die Mietkosten verdreifachen, bei manchen Mietern, die schon lange im Haus wohnen, verfünffacht sich der Mietpreis gar, teuerstes Außen-Klo der Stadt inklusive. Ein extremer Fall, selbst für die allgemein bekannten brutalen Methoden privater Investoren.
Das Wort »Gentrifidingsbums« können mittlerweile nicht nur Kleinkinder in Berlin aussprechen, seit Neuestem wissen unsere Kinder auch, was »Energetische Modernisierung« bedeutet.
In der Tat ist diese das neue Lieblingsinstrument der Vermieter, um Mieterhöhungen in unbegrenzter Höhe durchzusetzen. Wird etwa, um als Beispiel ein überschaubares Modernisierungsvorhaben in dem von mir bewohnten Haus ins Spiel zu bringen, eine Gasetagenheizung gegen eine neue Zentralheizung eingetauscht, können jährlich bis zu 11% der Kosten auf die Mieter umgelegt werden. Bislang ohne zeitliche Begrenzung, ohne Amortisation. Die Höhe der Umlage dieser Kosten richtet sich nicht nach der eingesparten Energie, sondern nach den Kosten der Modernisierungsmaßnahme.
Für unser Haus bedeutet das, dass je nach Größe der Wohnung die Mieten um monatlich 300-400 Euro steigen. Die angekündigten Kosten, die die Gewobag, also ein städtisches Unternehmen, kein renditeheißer Immobilienspekulant, für jenen Austausch einer funktionierenden Heizung veranschlagt, sind absolut überhöht. Zunächst und zuvorderst, die Vermutung liegt nahe, um die Mieter zu verschrecken – Wohnungen leerzuziehen und anschließend teurer zu vermieten ist immer noch die gewinnbringendste Taktik. Entscheidet man sich aber zu bleiben, wird zunächst von Vermieterseite auf Duldung der Modernisierung geklagt. Derweil bleibt genug Zeit für einen differenzierten Blick, jenseits der eigenen Betroffenheit.
Klimapolitische Belange sind erst 2013 in das Mietrecht eingegangen. Dagegen ist generell nichts einzuwenden, denn Warmwasser und Raumwärme sind für über 30% des Endenergieverbrauchs in Deutschland und für dementsprechend hohe Treibhausgas-Emissionen verantwortlich. Eine umfassende Gebäudesanierung, über die Energie einspart wird, ist unvermeidlich. Doch die derzeitige Umsetzung, vor allem das Gesetz, das die energetische Modernisierung regelt, hat die soziale Dimension der Energiewende nicht berücksichtigt.
Auch Sabine Drewes, Referentin für Kommunalpolitik und Stadtentwicklung der Heinrich-Böll-Stiftung, die letzte Woche eine in Auftrag gegebene Studie zum Thema »Energetisch modernisieren bei fairen Mieten« veröffentlicht hat, spricht von einer »energiepolitischen Zwickmühle: Wird energetisch modernisiert, steigen die Mieten häufig so stark an, dass sie für Geringverdiener/innen nicht mehr erschwinglich sind. Wird allerdings nicht modernisiert, werden auch die Klimaziele nicht erreicht, und besonders einkommensschwachen Haushalten droht Energiearmut.«
Die massiven Effekte, die die Mietsteigerung nach einer energetischen Modernisierung für Hartz IV- bzw. Wohngeldhaushalte hat, müssen definitiv und schnellstmöglich berücksichtigt werden. Nachgebessert werden müssen die Bemessungsgrundlagen für »Angemessenen Wohnraum«, denn Wohnungen, die vor der Modernisierung noch als »angemessen« galten, sind es nach derart hohen Mietsteigerungen natürlich nicht mehr. Genauso wichtig ist eine Debatte darüber, wie Mieterschutz und Umweltschutz nicht gegeneinanderstehen und ob so was wie ein Interessenausgleich zwischen Mietern und Vermietern hergestellt werden kann.
Die bisherige Gesetzeslage stinkt nach Klientelpolitik, denn ganz generell stellt sich die Frage, wieso die Mieter überhaupt derart belastet werden sollen – oftmals ohne selbst Energiekosten einsparen zu können -, es bleibt schließlich das Haus des Eigentümers. Die voraussichtlichen Energiekosten, also zum Beispiel die Gasvorauszahlungen nach der energetischen Modernisierung, übersteigen in manchen Fällen sogar die vorher gezahlten. Von einer nachhaltigen Heizkostenersparnis, die das Hauptargument für die energetische Modernisierung ist, kann also nicht die Rede sein.
Sind Nachhaltigkeit und Sozialpolitik, Mieter- und Umweltschutz unvereinbar? Die bisherige Gesetzeslage wirft diese Fragen auf. Ein Kompromiss wäre, so schlagen es auch die Autoren des Gutachtens für die Heinrich-Böll-Stiftung vor: statt die Modernisierungsumlage an den Kosten der Maßnahmen zu orientieren, die Kosten an die tatsächlichen Einsparungen zu koppeln. Das Institut für soziale Stadtentwicklung in Potsdam, das die Studie erarbeitet hat und Fallbeispiele aus Dortmund, Leipzig, Heidelberg und Berlin ausgewertet und verglichen hat, arbeitet differenziert die Unterschiede der einzelnen lokalen Wohnungsmärkte heraus. Es handelt sich trotz der unterschiedlichen Handhabungen aber nicht um ein lokalpolitisches Problem, auch wenn Ungerechtigkeiten und der Einsatz der energetischen Modernisierung in Städten mit ohnehin extrem angespannten Wohnungsmärkten massiver ausfallen.
Also zurück in die eigene Stadt. Als »Öko-Spießer« und »Partikularinteressenvertreter« mussten sich zuletzt diejenigen Berliner Bürger beschimpfen lassen, die gegen eine Bebauung des Tempelhofer Feldes waren. Wowereit setzte noch einen drauf und sprach von einer »Verdummungskampagne«, der die Berliner aufgesessen seien. Das Lieblingsargument lautete, wir erinnern uns, die Berliner hätten mit ihrem Entscheid die Chance auf bezahlbaren Wohnraum in der Innenstadt verspielt.
Das ist mehr als höhnisch und kaschiert einerseits das Unvermögen, nein, den fehlenden politischen Willen, das Problem des sozialen Wohnungsbaus und eine soziale Wohnungspolitik für alle durch ein wohnungspolitisches Gesamtkonzept zu lösen. Die Kampagne »100% Tempelhofer Feld« war ja eingebettet in ein »starkes Votum für Bestandsschutz und soziale Mieten« und Ausdruck des allgemeinen Misstrauens in die Berliner Politik.
Bei solch grundsätzlichen Fragen, wie derjenigen danach, wie wir leben wollen, traut die Mehrheit aller BerlinerInnen dem Senat offensichtlich nicht zu, den Interessen der Allgemeinheit Vorrang vor Partikularinteressen einzuräumen. Ein Klassen übergreifender Häuserkampf, das wäre doch mal was.
von Mascha Jacobs erschienen in Ich. Heute. 10 vor 8. ein Blog von FAZ.NET.